Paul-Ulrich Lenz
Wenn Beten nicht mehr geht
Aus: Impuls Gemeinde 2/2007: Beten
Ich habe aufgehört zu beten. Ich habe das Gefühl, dass ich nur noch Worte mache, aber meine Seele bleibt stumm. Ich weiß auch gar nicht mehr, ob ich für mein Beten noch eine Adresse habe.“ So sagt jemand zu mir und ich nicke. Nicht, weil ich nicht gleich weiß, wie ich antworten soll. Nicht, weil es mir die Sprache verschlagen hat. Ich kenne das, was mir da gesagt wird, aus eigener Erfahrung. So geht es mir auch manchmal. Beten geht nicht immer. Manchmal geht es einfach nicht.
Das kann an einem Ereignis liegen, das mich aus der Bahn geworfen hat. Manchmal sind das Geschehnisse im eigenen Leben, im eigenen Lebensumfeld. Krankheit in der Familie, der plötzliche Tod eines Freundes, Unrecht, das mir widerfährt – all das geht nicht spurlos am eigenen Beten vorbei. Manchmal macht es aus dem Beten einen Aufschrei voller Zorn und Wut, lässt Gott auf der Anklagebank landen. Manchmal werde ich aber auch einfach stumm. Verstummen von außen Aber auch, was in der großen Welt geschieht, weit weg von mir und meinem Lebensort, kann mich zum Verstummen bringen.
Wie soll ich beten, was soll ich beten wenn, ...?
Wie soll ich beten über diesem unsäglichen Dauerkrieg von Palästinensern mit Israel, von Israel mit seinen Nachbarn? Was soll ich beten angesichts des schweigenden Zusehens der Staatengemeinschaft beim Mord in Dafur, bei den Hungerkatastrophen, die mal hier, mal dort vermeldet werden? Wie soll ich beten, was soll ich beten, wenn ein Tsunami Menschen wegrafft, wenn ein Hurrikan Menschen wegspült, wenn eine Lawine Menschen in den Tod reißt? Kann ich mit einem Gott reden, der da nur zuschaut? So denke ich manchmal – und werde stumm.
Das ist das eine Verstummen, das ich kenne – ausgelöst durch ein Geschehen, ein Ereignis, mit dem ich nicht klar komme, weder denkend noch schweigend, weder leidend noch wartend.
Verstummen von innen Daneben gibt es ein anderes Verstummen. Ich bete, aber es wird in mir stumm. Ich gebrauche die Worte, aber sie finden kein Echo mehr. Ich höre nicht auf, die Hände zu falten, aber ich habe das Gefühl, ich könnte es auch genauso gut lassen. Beten im Leerlauf – so nenne ich das für mich selbst. Das Rädchen dreht sich weiter, aber es berührt mich nicht. Es ist schwer zu sagen, woran das liegt. Solches innere Verstummen hat eben keinen äußeren Anlass – es ist mehr wie ein Versanden von Bächen in der Sommerzeit. Eben ist das Wasser noch im Bachbett geflossen, aber dann ist es immer weniger geworden und schließlich nur noch ein bisschen Feuchtigkeit, die dann endgültig ausgetrocknet wird. So geht es mir, nicht immer, aber doch manchmal. Dieses innere Verstummen empfinde ich härter als das Schweigen nach einem schrecklichen Ereignis. Es ist deshalb härter, weil es so schleichend kommt, weil es keinen erkennbaren und benennbaren Grund gibt, weil es sich so ergibt – und dann ergebe ich mich in dieses sich ergeben hinein.
Ich staune, dass mein Beten auch in Phasen des Verstummens nie endgültig aufgehört hat
Kein Rückzug ins Verstummen. Wie komme ich aus dem Verstummen wieder heraus? Wie finde ich neu in ein Beten hinein, in dem ich vorkomme, Worte finden, hören kann, auch schweigen vor Gott? Ich weiß es nicht. Für mich erscheint erst einmal wichtig, dass ich mir das überhaupt eingestehe: Ich schiebe es nicht auf die fehlende Zeit, den Stress, die vielen Aufgaben. Ich schiebe es auch nicht auf die Unmöglichkeiten anderer Christen oder der Kirchen. Ich laste mein Verstummen nicht einmal Gott an, der so unmöglich ist. Ehrlichkeit über den Zustand des eigenen Betens – das ist unumgänglich.
Trotzdem: Ich kann gebetsmüden Menschen schlecht Ratschläge geben: Mach es so… Ich staune, dass mein Beten auch in Phasen des Verstummens nie endgültig aufgehört hat. Stoßseufzer sind geblieben. Worte, in die ich hineingeschlüpft bin, sind mir geblieben. Eine Gemeinschaft um mich herum, die weiter gebetet hat, ist mir geblieben. Das scheint mir fast das Wichtigste: dass ich mich nicht, selbst verstummt, zurück ziehe von den Orten, an denen gebeten wird, von den Menschen, die beten, aus der Gemeinschaft, die aus dem Beten ihre Kraft gewinnt und ihren Weg findet. Vielleicht ist mir deshalb die Geschichte, die ich einmal gehört habe, so im Gedächtnis hängen geblieben. „Ein Mönch kommt zu seinem Abt und bittet: „Befreie mich von den Stundengebeten.“ Der Abt fragt zurück: „Warum soll ich dich davon befreien.“ Der Mönch antwortet: „Ich kann nicht mehr beten. Die Worte sagen mir nichts mehr. Die Gesänge berühren mich nicht mehr.“ Darauf antwortet ihm der Abt: „Das kenne ich von mir selbst auch. Aber Du hast mir Gehorsam versprochen. Deshalb sage ich dir: Du wirst weiter zu den Stundengebeten gehen.“ Der Mönch reagiert irritiert: „Hast du mich nicht verstanden – ich kann nicht mehr beten.“ Darauf der Abt: „Ich weiß, dass Du nicht mehr beten kannst. Aber gehe hin und schaue den Brüdern beim Beten zu. Vielleicht kommt der Tag, an dem du nicht mehr nur zuschaust, sondern neu mitbetest.“
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