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Innehalten im Selfie-Universum

Online-Angebote zum Beten erreichen junge und bisher kirchenferne Menschen

Von Carina Dobra

© GettyImages_MixmikeDas Smartphone ist für junge Menschen ständiger Begleiter. Und wer ohnehin schon auf Instagram unterwegs ist: Warum nicht auch dort beten!?

Shoppen, Reise buchen, Essen bestellen oder seinen potenziellen Traum-Partner kennenlernen. All das können Menschen online erledigen. Glaube und Kirche findet ebenso zunehmend im digitalen Raum statt. Gerade in Zeiten von Corona. Auch Beten gehört dazu. Klingt toll, Grenzen gibt es trotzdem.

Kaum ist das »B« von »Beten« ins Suchfeld auf Instagram eingegeben, spuckt die App schon die ersten Vorschläge aus: #beautifuldestinations, #berlin, #bodybuilding oder #blogger gehören zu den ersten Ergebnissen. Man muss das Wort schon ausschreiben, um zum Ziel zu kommen. Immerhin: Es gibt ihn, den Hashtag »beten« – und das mit mehr als 50.000 Beiträgen. Unter »Gebet« tauchen sogar knapp 75.000 Bilder auf.

Zugegeben, die angezeigten Bilder oftmals mit Bibelversen wirken ein wenig befremdlich auf der sonst so glitzernden und glamourösen daherkommenden Plattform. Und doch scheint es inmitten von Beauty-Selfies und Schmink-Tutorials eine Community dafür zu geben.

Impulsgeber sind immer öfters sogenannte Sinnfluencer. Sie lassen sich als eine Art Gegenbewegung zu Beauty, Lifestyle und Fashion verstehen. Die jungen Frauen und Männer berichten auf ihren Profilen über Gesundheit, Nachhaltigkeit oder eben ein Leben im christlichen Glauben. 

Beten, predigen, segnen – alles möglich auf Instagram

»Für viele stellt sich die Frage gar nicht mehr, ob Kirche im Netz präsent sein muss«, erklärt Anna-Katharina Lienau, Privatdozentin für Religionspädagogik an der Universität Münster. Junge Geistliche seien mit den sozialen Netzwerken aufgewachsen und dort selbstverständlich unterwegs. Unter dem Hashtag »waspfarrerinnensomachen« geben Theresa Brückner als »theresaliebt«, Nordkirche-Pastorin Josephine Teske als »seligkeitsdinge« oder Jörg Niesner alias »wasistdermensch« Einblicke in ihre Glaubenswelt. Niesner, Pfarrer aus Laubach im Landkreis Gießen, schreibt unter seinen Bildern zum Beispiel über seine Erfahrungen mit Tod und Trauer. In den Kommentaren wünschen ihm seine Follower »Viel Kraft und Segen«. Ein User schreibt: »Ich bete für dich du lieber.«

»Die Menschen probieren sich aktuell einfach ein bisschen aus, was so alles möglich ist«, erklärt die evangelische Theologin Lienau, die sich bereits in ihrer Dissertation im Jahr 2007 mit Online-Gebeten beschäftigt hat. Aktuell forscht die 39-Jährige über Möglichkeiten der Kommunikation des Evangeliums in Social Media. Predigen, Andachten, Beten und auch Segnen ‧– das alles sei inzwischen problemlos auf Instagram und Co möglich, meint die in Osnabrück lebende Dozentin. Viele wüssten noch gar nicht, welche Möglichkeiten das Internet in Punkto Glaube bietet.

Das scheint sich gerade zu ändern. Während Corona sind Gottesdienste mit Gemeinde nicht mehr erlaubt. Rundfunkgottesdienste erzielen aktuell Rekordreichweiten, aber auch im Internet ist die Kirche jetzt präsenter denn je. Fast jede Gemeinde bietet eine Predigt als Podcast oder einen Gottesdienst zum Streamen an. evangelisch.de etwa hat online ein Dauergebet gestartet. Freiwillige beten auf der Seite »coronagebet.de« jeweils 30 Minuten am Stück und nehmen Gebetsanliegen von Nutzern auf.

Angebote im Netz gab es natürlich auch schon vor Corona. Zum Beispiel die Seiten »credo-online« und »Amen.de«. Nach dem Motto »Gib deine Sorgen ab« können Nutzer dort für sich beten lassen. »Credo-online« ist ein Portal des Bistums Augsburg. Die moderne, bunte Webseite soll junge Menschen ansprechen. Die User können Artikel rund ums Beten lesen, Podcasts hören, Videos anschauen und natürlich selbst aktiv werden. Neben Gebeten kann die Netzgemeinde virtuelle Kerzen anzünden. In einer WhatsApp-Gruppe tauschen sich die Gläubigen aus.

Solche Angebote seien für viele Nutzer eine Form der Gemeinschaft, betont Lienau. Gerade für junge Menschen sei die Linie zwischen analoger und digitaler Welt kaum noch trennbar. Eine große Chance sieht die Expertin zudem im pädagogischen Bereich. Social Media eigne sich hervorragend fürs Beten lernen, berichtet sie. Es gebe keine feste Form, die User könnten sich ausprobieren und auch sehen, wie andere Religionen beten. Denn auch muslimische Gebetsseiten auf Instagram sowie Bet-Apps vor allem zu den Gebetszeiten gibt es inzwischen unzählige. »Das eröffnet ganze neue Horizonte«, ist die Theologin überzeugt.

Ein Wermutstropfen vom Beten im Netz seien Hass-Kommentare, sagt Lienau. Hin und wieder komme es vor, dass Störenfriede ein Gebet unterbrechen. Auch auf den Datenschutz sollten die Online-Beter Acht geben, empfiehlt sie. Jeder müsse selbst aushandeln, wie viel er oder sie von sich preisgibt.

Häufig komme es bei Online-Gebeten zu einer sehr persönlichen und intensiven Kommunikation, weiß Johanna Jerzembeck. Die 45-Jährige gehört mittlerweile zum Kern der Twitter-Gemeinde. Die gebürtige Westfälin hat zumindest beruflich mit Kirche nichts zu tun. Die Liebes fürs Internet kam bereits während ihres Studiums. Seit einigen Jahren betreut sie die Webseiten ihrer Kirchengemeinde in Karlsruhe. Seit 2017 ist Jerzembeck Vorbetende bei der Twomplet. Bei dem 2014 gestarteten Format feiert eine Twittergemeinschaft jeden Abend um 21 Uhr Abendandacht. Einer betet vor, die anderen können Fürbitten einbringen.

Online-Gebet kann Brücke zur Kirche vor Ort sein

»Beten online geht genauso gut wie bei einem Fernsehgottesdienst oder einer Morgenandacht im Radio«, findet Jerzembeck, die vermutlich viele eher unter ihrem Twitter-Namen »hanna_unterwegs« kennen. Ihre Mitbetende seien viel unterwegs oder hätten aus anderen Gründen keine feste Anbindung an eine entsprechende Gemeinschaft an ihrem Heimatort, berichtet die Digital-Expertin. Das Angebot eigne sich auch für Kirchenferne. Sie könnten jederzeit unverbindlich vorbeischauen. Auch Menschen mit Diskriminierungserfahrungen wie etwa queere Menschen biete die Twomplet einen Schutzraum, erklärt Jerzembeck. Schließlich müssten sie sich nicht zwingend mit echten Namen und Gesicht offenbaren.

Die Twitter-Gemeinde soll nicht in Konkurrenz zur Ortsgemeinde stehen. Eher als Ergänzung, meint die digitalaffine Frau: »Nicht zuletzt können die Angebote eine Brücke zur klassischen Gemeinde schlagen.« »Wir wissen inzwischen von mehreren Fällen, in denen die Twomplet der Erstkontakt war, der am Ende zu einem Kircheneintritt geführt hat«, erzählt sie weiter. Alles ist im Internet dann aber doch noch nicht möglich: »Grenzen gibt es sicherlich im Bereich der Sakramente. Eine Online-Taufe oder ein digitales Abendmahl kann ich persönlich mir nur sehr schwer vorstellen.« Auch jemanden in den Arm zu nehmen und zu trösten, das ginge im Netz auch nicht, sagt Jerzembeck. Trotzdem sieht die Bloggerin ein großes Potenzial für Kirche im Netz und auf Social Media: »Ich würde mir bei der Kirche noch mehr Mut wünschen, außerhalb der gewachsenen Strukturen zu denken.«

 

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