Die Seele in die Sonne halten
Wie der Leib dem Geist hilft
Von Marianne Rink aus Impuls Gemeinde 1/2015 - Anhalten-Innehalten-Andacht halten
Auf der Suche nach Atempausen
Anhalten, Innehalten. Unterschiedlichste Leute kommen ins Kloster Höchst, um sich eine Atem-Pause zu gönnen. Sie möchten alle Eile für einen oder mehrere Tage hinter sich lassen. Sie möchten sich nicht verlieren im Vielerlei. Sie möchten ihrer Sehnsucht nachspüren. Sie lassen sich ein auf einen Oase-Tag. Vielleicht buchen sie auch ein Übernachtungsangebot mit klösterlichen Impulsen. Vielleicht nehmen sie teil an einer meditativen Führung unter freiem Himmel. Das große Buchsbaumlabyrinth im Klostergarten wie auch der Vaterunser-Meditationsweg laden ein zum Innehalten, zum Loslassen und Aufnehmen von neuen Impulsen für den eigenen Weg.
Begegnung mit einer betenden Skulptur
Immer wieder besuchen unterschiedliche Klosterbegleiterinnen oder ich in diesem Zusammenhang mit interessierten Jugendlichen oder Erwachsenen eine bestimmte menschengroße Gestalt aus Holz. Stumm steht sie am Rande einer häufig befahrenen Straße in Höchst. Ich erzähle, dass sie zu der zweiten Vaterunser-Bitte „Dein Name werde geheiligt“ künstlerisch gestaltet wurde. Wir nehmen uns Zeit zum stillen Betrachten von allen Seiten, auch zum Berühren. Ich lade dazu ein, für kurze Zeit selbst die Haltung einzunehmen, die wir da sehen: Ein Mensch, mit beiden Beinen auf der Erde, ausgestreckt zum Himmel. Wer will, taucht für kurze Zeit ein in diese Bewegung. Wir werden selbst zu einem „Stand-Bild“. Dann lösen wir uns wieder aus der Gebärde und spüren für einen Augenblick dem Erlebten miteinander nach.
Äußere Gebets-Bewegungen stehen seit alters für innere
Seit tausenden von Jahren stehen, sitzen oder knien Menschen, wenn sie sich zum Himmel ausrichten. Sie neigen das Haupt oder verbeugen sich, werfen sich nieder vor der Gottheit, die sie verehren. Sie breiten die Arme aus. Oder sie erheben die Hände, kreuzen sie vor der Brust, legen sie aneinander oder falten sie. Sie ziehen die Schuhe aus, verhüllen den Kopf. Unzählig sind die Körperhaltungen und Gesten, die nach außen bringen, was im Inneren bewegt. „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen“ singt der Beter des 121. Psalms. „Wohlan, hebet eure Hände auf im Heiligtum und lobet den Herrn“ erklingt es in einem nächtlichen Loblied (Psalm 134) im Tempel.
Der Leib hilft dem Geist – auch heute
„Ich bin da“ – das ist für alle Zeiten der Name des Gottes (2.Mose 3,1415). Von Gottes heiliger Gegenwart ist nicht nur Moses, sondern auch Jesus erfüllt. Wie können wir in unserer umtriebigen Zeit vor dem, der da ist, auch da sein? Es ist eine alte Weisheit: Meine Gedanken sind auf dem Sprung, doch mein Körper ist der Schwerkraft der Erde ausgesetzt. Mein Leib, der ich bin, kann mir zu meiner besten Freundin, meinem besten Freund werden, wenn es darum geht, mich in den Augenblick zu führen. In das Jetzt und Hier. Mit meinem Einatmen und Ausatmen wie auch mit äußerlichen Gebetsgebärden kann ich Anker werfen. Ich kann in die Geste hineinlegen, was auch mein Inneres sucht und will. Und so oft auch mein Geist entflieht, meine Körper-Haltung bei der Meditation, beim Beten bleibt für eine Weile. Und mein Geist kann zurückkehren auf den Boden, ins Jetzt und Hier. Die Grundhaltung des christlichen Betens und Meditierens ist ganz schlicht. Sie lässt sich zusammenfassen mit den Worten: „Du, Gott, bist da und ich bin auch da.“
Von der Leichtigkeit des Innehaltens
Es gibt eine schöne Geschichte, die erzählt von einem Missionar in Neuguinea. Diesem fiel ein alter Mann auf, der immer nach der Sonntagsmesse noch lange Zeit in der Kapelle knien blieb. Der betagte Ureinwohner schaute mit auf der Brust gekreuzten Armen zum Altar, der jetzt abgeräumt und leer war. Einmal fasste sich der Missionar ein Herz und fragte den Mann, was er denn da die ganze Zeit tue. Dieser antwortete lächelnd: „Ich halte meine Seele in die Sonne“.
Diese Geschichte gefällt mir, weil sie etwas von der Leichtigkeit widerspiegelt, um die es beim Innehalten geht. Nicht um religiöse Leistung. Die Gebärde als solche ist nicht wichtig. Und wie gut und wie oft nicht abgelenktes Dasein gelingt, ist zum Glück nicht Voraussetzung für das Wirken von Gottes Geist. Und doch liegt in der äußeren Haltung - wie unbeholfen oder ungeübt sie auch erscheinen mag - eine Offenheit für Gottes Wirken und Stimme. Sie steht für eine Bereitschaft zum Ablassen vom eigenen Machen und Tun. Daraus kann Großes erwachsen. „Die Seele in die Sonne halten“. Das ist genug.
Vom weiten Raum, von Abstand und Grenzen
Innehalten, Andacht halten, bedeutet auf Abstand gehen, sich für eine kurze Zeit dem Diktat der Dinge entziehen. Sich vom Leib halten, was auf den Leib gerückt ist. Sich vom Druck scheinbarer Zwänge befreien. „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ singt der Beter des 31. Psalms. Da kommt Spiel-Raum, Frei-Raum, ein Aufatmen ins Spiel, ein Blick zum Horizont, inmitten aller möglichen Enge und Kurzatmigkeit. Indem ich vor meinem Schöpfer Atem schöpfe, werde ich, wer ich bin: Geschöpf. Nur Geschöpf, ein Wesen mit Grenzen. Die Welt geht nicht unter, wenn meine Hände ruhen. Bis heute singen Menschen in Ordensgemeinschaften regelmäßig Stundengebete. Und so taten es auch einst die Nonnen im Kloster Höchst. Und sie taten es nicht, um ihren Aufgaben in der Welt zu entfliehen. Im Gegenteil. Vielleicht hat gerade die regelmäßige Unterbrechung ihnen ermöglicht, den vielen Kranken und Bedürftigen aus der Region hilfreich zur Seite zu stehen.
Von der Würde und Schönheit der Handlung
Innehalten vor dem, der die Zeit in Händen hält, braucht eine äußere Form. Warum nicht ein Gebet vor einer Sitzung im Stehen miteinander beten? Oder warum nicht den Segen am Ende stehend empfangen? Sich erheben vom vielleicht voll beladenen Sitzungstisch kennzeichnet die Würde und den Wert der Handlung, unterscheidet Tun und Lassen. Ich bin davon überzeugt, dass alle Anwesenden spüren, ob die leitende Person selbst die Handlung „bewohnt“, ob sie ihr eine Qualität, eine Bedeutung beimisst, ob sie Luft lässt zum Sich Einfinden im Stillwerden, zum Hören, zum Beten. Ich bin sicher, ein sich hinhaltendes Dasein vor Gott, und sei es nur für ein paar Minuten, verändert spürbar jedes Zusammenkommen.
Der Sonne stille halten
Beim Mittagsgebet im Kloster Höchst singen wir immer einen Vers aus einem Lied des Evangelischen Kirchengesangbuchs, dessen Text im 18. Jahrhundert entstand. Wunderbar ist da, wie ich finde, mit einem Bild ausgedrückt, worin die Würde und Schönheit des Innehaltens vor Gott liegt: „Du durchdringest alles, lass dein schönstes Lichte, Herr, berühren mein Gesichte. Wie die zarten Blumen willig sich entfalten und der Sonne stille halten, lass mich so, still und froh, deine Strahlen fassen und dich wirken lassen.“ (EG 165,6)
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