Wie beten? Bewusst innehalten zum Gebet
Angst und Zuversicht, Wut und Freude: Menschen dürfen mit allen Emotionen vor Gott treten
Von Renate Haller
Wie geht beten? Formuliere ich selbst, bete ich das Vaterunser oder besorge ich mir erst einmal Literatur zum Gebet? Wo konzentriere ich mich auf Gott und wie lange dauert das? Viele Menschen sind im Beten nicht mehr geübt. Dorothea Hillingshäuser, Referentin für Geistliches Leben im Zentrum Verkündigung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, weiß Rat.
Es gibt kein Richtig oder Falsch«, sagt Dorothea Hillingshäuser. Auch mit kleinen Bitten können sich Menschen an Gott wenden. Selbst das Stoßgebet »Gott, gib mir sofort einen Parkplatz!« hat sein Recht. Wichtig sei, »mit Gott in Beziehung zu treten«, egal ob jemand glücklich oder enttäuscht, wütend oder traurig ist. Kritisch findet die Referentin nur Situationen, in denen anderen »eins übergebügelt wird«, etwa, dass jemand nicht mehr so laut sein soll. »Das ist eine Bitte, die man besser an den Betreffenden richten sollte«, sagt sie.
Gott hört sich auch Vorwürfe an
Es ist auch möglich, mit Emotionen wie Hass, Rachegefühlen und Neid mit Gott in Kontakt zu treten. »Ich darf Gott Vorwürfe machen, ihm alles an den Kopf knallen und um Verwandlung bitten«, erklärt die Theologin. Man könne sich darauf verlassen, dass Gott einen besser kenne, als man es selber tue, und mit der ganzen Palette des eigenen Lebens vor ihn treten.
Naheliegend als christliches Gebet ist das Vaterunser, »ein wunderbar verbindendes Gebet, dass uns von Jesus Christus geschenkt wurde«. Die Worte sind elementar, sie enthalten die Bitte um stärkende Nahrung, wie etwa die Bitte um das tägliche Brot.
Bereits das Seufzen ist ein Gebet
Als entlastend empfindet die Seelsorgerin die Worte im Römerbrief (Römer 8,26–27): Der Geist Gottes hilft »unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich‘s gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen. Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er tritt für die Heiligen ein, wie Gott es will.« Wir können nicht immer aktiv beten, sagt Hillingshäuser. Es tue deshalb gut zu wissen, dass bereits das Seufzen ein Gebet ist.
Ob jemand seine Sätze selbst formuliert oder auf einen vorhandenen Text zurückgreift, ist jedem selbst überlassen. Menschen, denen die freie Zwiesprache mit Gott schwerfällt, finden reichhaltige Gebetsliteratur. Sie können sich aber auch einer Gruppe anschließen und in deren Gebet hineinnehmen lassen. Das ist auch für Menschen attraktiv, die keine religiöse Erziehung genossen und das Beten nicht eingeübt haben.
Beten beim Treppensteigen
Eine Möglichkeit ist auch das Herzensgebet, das aus der orthodoxen Kirche stammt: »Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner.« »In der einfachen Wiederholung der Worte finde ich mich vor Gott ein und mache mir klar, dass Gott immer gegenwärtig ist«, sagt Hillingshäuser. Das spende Geborgenheit. Oft nutzten Menschen auch ihre eigenen »Herzensworte« wie etwa »Ich in Dir, Du in mir«, die sie wiederholt beten. Sie kenne zudem eine Frau, die immer beim Treppensteigen, einen biblischen Vers betet.
Einfache Gesten oder das Schweigen bringen ebenfalls Menschen in Verbindung mit dem Göttlichen »Da sein vor Gott, ist auch eine Form zu beten«, sagt die Pfarrerin.
Stärkung für den Tag
Individuell ist auch die Tageszeit für die Hinwendung zu Gott. Gott ist immer da. Hilfreich sei es aber, eine feste Zeit einzuplanen, damit es nicht im Alltag vergessen geht. Das Gebet am Morgen etwa könne mit der Bitte um Stärkung für den Tag einhergehen, um Gelassenheit für das, was kommt. Auch eine Fürbitte ist gut zu integrieren. »Es reicht schon, einen Namen zu nennen. Gott weiß dann schon, was der Mensch braucht«, erläutert die Theologin. Der Abend wiederum eigne sich gut für einen Dank, selbst wenn der zurückliegende Tag schwierig war. »Es gibt immer etwas, wofür man danken kann.«
Ein paar Minuten auf eine Kerze schauen
Ein Ort für das Gebet kann der Frühstückstisch sein. »Vielen hilft es, dort eine Kerze anzuzünden und ein paar Minuten lang die Flammen zu beobachten.« Man könne auch die Kerze ans Fenster stellen und vor sich eine Karte, einen Stein oder eine Muschel legen, etwas, was man mit dem Ablauf des Kirchenjahres in Verbindung bringen kann, in der Passionszeit etwa einen Zweig, dessen Knospen noch geschlossen sind.
Andere gehen gerne zum Beten in die Kirche. Dort bringt schon der Raum sie mit einer anderen Dimension in Verbindung. Den einen hilft der Blick aufs Kreuz und das Vertrauen auf den mitleidenden Gott. Andere stören sich an der Gewalt, die mit dem Kreuz verbunden ist, und bevorzugen vielleicht einen Meditationsraum.
Ein Gebet kann kurz oder lang sein
Ein Gebet kann kurz sein. Ein Atemzug, ein Stoßseufzer, ein Amen. Das kann schon reichen. Wichtig ist das bewusste Innehalten. Das freilich kann sich im Extremfall auch über Stunden oder Tage hinziehen. »Wenn Pilgern Beten mit den Füßen ist, dann beginnt das Gebet, sobald ich den ersten Schritt mache«, sagt Dorothea Hillingshäuser. »Und es dauert dann auch so lange, wie ich gehe.«
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