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Gottkontakt?

Von Heinke Willms

© GettyImages / WillSelarep

„Free at last, free at last, thank god, almighty, I am free at last…“

Sie läuft am Strand entlang und singt das Lied. Tränen fließen über ihr Gesicht. Zwischendurch bleibt sie stehen, schaut aufs Meer, läuft dann wieder weiter. Vor einer Stunde hat ihr Bruder sie angerufen. Mutter ist tot.

„Ich kann es nicht fassen“, denkt sie. Zum ersten Mal in all den Jahren bin ich weggefahren. Habe endlich einmal Urlaub gebucht. Und ausgerechnet jetzt stirbt sie. 5 Jahre hat Mutter gelegen. Sie, die sich immer so gerne bewegt hat. Sie hat es geliebt zu laufen, Rad zu fahren, zu tanzen…

Das war, bevor sie krank wurde. Seit ihrem Schlaganfall war sie dann wie eine Gefangene. Eingeschlossen in diesen Körper, der ihr nicht mehr gehorchen wollte und der immer weiter steif und starr geworden war.

„5 Jahre. Und ich habe sie gepflegt in all dieser Zeit“, denkt sie. „Ich habe das gerne für sie getan - und doch war es oft zu schwer für mich. Gar nicht so sehr die Arbeit. Mehr sie so zu sehen, mit ihr zu fühlen… Und nun die Nachricht: Mutter ist tot. „Eigentlich habe ich ja schon geahnt, dass es bald soweit sein wird“, denkt sie. „Und irgendwie habe ich es manchmal fast herbeigesehnt.“

„Free at last“- wieder ist da das Lied. Sie summt die Melodie. „Ja“, geht ihr durch den Sinn, „endlich ist Mutter frei.“ Dann spürt sie: „Und auch ich bin frei. Frei von der Sorge um sie. Von der Anstrengung, die es bedeutete, sie zu pflegen. Und davon, sie leiden zu sehen und so wenig helfen zu können.

„Wir sind frei.“  Sie erschrickt über sich selber: „Mutter ist tot. Ich kann es nicht fassen. Es tut mir so weh - und doch bin ich fast erleichtert und irgendwie dankbar. Darf ich das? Auch froh sein, dass sie frei ist. Dass ich frei bin.“

„Free at last, free at last, thank God almighty, I am free at last….“ „Vor langer Zeit“, erinnert sie sich“, haben wir im Gospelchor dieses Lied gesungen - und jetzt kommt es mir hier und heute wieder in den Sinn. Als wolle es mir Worte leihen, die ich selber nicht finden konnte. Und mir Töne schenken, die ausdrücken, was in mir ist.

Als wollte Gott Kontakt zu mir aufnehmen. Oder ich zu ihm… „Gottkontakt? Ich?“ denkt sie erstaunt. „Es wäre seit langem das erste Mal.“ Singend geht sie weiter an den Wellen entlang.

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