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Was ist Beten?

Theologischer Ansatz

Von Prof. Stefan Claaß, Herborn

© GettyImages / Rawpixel

Beten ist Leben in Beziehung zu Gott

Eine elementare Weise, mit Gott in Kontakt zu kommen, ist das Beten. Wer betet, kommuniziert mit Gott im Hören, im Reden und im Schweigen. Es setzt voraus, dass ein betender Mensch die Vorstellung hat bzw. die Erfahrung gemacht hat, dass Gott als persönliches Gegenüber solche Kommunikation aufnimmt oder zulässt. Daher ist Beten vor allem in Religionen bekannt, die auf einer personalen Erfahrung von Gott ausgehen wie im Judentum, im Christentum und im Islam. Das Gebet lebt aus der Hoffnung bzw. aus der Erfahrung, dass Gott sich uns mitteilt, dass Gott hört, was uns bewegt und dass Gott eine Verbindung mit uns eingeht. Martin Luther war der Überzeugung:

Das Gebet lehrt uns, dass wir beide erkennen: uns selbst und Gott

Wie und was wir beten, bildet etwas davon ab, wie unsere Gottesbeziehung aussieht. Ist sie geprägt von Vertrauen, dann wird sich das Beten ausleben in Dank und Lobpreis. Hat sich Zweifel in die Beziehung eingeschlichen, lebt das Beten in Fragen und Erwartung. Vielleicht steigert sich der Zweifel, dann verändert sich das Beten in Formen von Klage.

Was heißt: sich selbst erkennen in dieser Beziehung? Auch hier bieten sich unterschiedliche Möglichkeiten. Sieht sich der betende Mensch als Sandkorn im Universum, als ein dem Willen Gottes unterworfenes Wesen oder als ein geliebtes Kind Gottes? Je nachdem werden sich die Haltung und die Ausdrucksform im Beten verändern.

Was heißt: Gott erkennen in dieser Beziehung? Sieht der betende Mensch Gott als Herrscher des Universums an? Als Schöpfer allen Lebens, auch des eigenen? Als allmächtig, barmherzig, gerecht, fähig zum Zorn wie zur Liebe? So vielfältig wird sich das Beten auch darstellen. Beten ist Ausdruck der Beziehung zu Gott. Sie kann gut und offen sein. Manchmal ist sie weniger oder stärker gestört. Manchmal ist ein betender Mensch vielleicht auf der Suche nach einer solchen Beziehung.

Beten teilt Leben mit Gott

Biographisch entwickelt sich das Beten an Vorbildern, es braucht menschliche oder literarische Anregung. Häufig beginnt es bei Kindern mit Erzählen von Erlebtem und entwickelt sich später auch in Formen des Hörens und der geteilten Stille mit Gott, in der Herz und Gemüt und Gehirn Ruhe oder neue Anregung finden können.

Beten lebt aus dem Hören

Theologisch beginnt alle Beziehung zu Gott mit (bewusstem oder unbewusstem) Hören. Im Römerbrief, Kap. 10, Vers 17 heißt es: „So kommt der Glaube aus dem Hören (Luther übersetzt hier mit „Predigt“, wörtlich heißt es aber: „aus dem Hören“), das Hören aber kommt aus dem Wort Christi.“ „Wort Christi“ steht hier für alle Anrede, die Gott wählen kann, um Menschen auf vielfältigen Kanälen zu erreichen über Erfahrungen, Gefühle, Gedanken, menschliche Worte und auf vielerlei anderen Wegen. Gott gibt sich als Gegenüber zu erkennen: Ich bin da!

Beten kann ich für mich, mit anderen und für andere

Beten ist nicht gebunden an bestimmte Zeiten, Orte, Sprachen, Kulturformen oder Gemeinschaften. Es ist freie Kommunikation mit Gott. Dennoch hat es sich in bestimmten Formen verdichtet: an den Rändern des Tages als Morgen- und Abendgebet, als stilles Gebet der einzelnen Person und als gemeinschaftliches Gebet von Menschen, die ihre Gottesbeziehung miteinander teilen und feiern. Beten beschränkt sich dabei nicht auf die betende Gemeinschaft, es nimmt die Welt und alle Menschen in den Blick. Für andere zu beten gehört unbedingt dazu.

Beten erlebt Gotteskontakt ganz nah und manchmal ganz fern

Für viele Christenmenschen liegt das Zentrum ihres Betens im Vaterunser, das nach biblischer Überlieferung von Jesus selbst stammt und als Ausgangspunkt für viele andere Gebetsweisen dienen kann. Die Anrede „Vater“ nennt eine vertrauensvolle Beziehung als Start für den Gotteskontakt – wohl wissend, dass es auch ganz andere und negative menschliche Erfahrung mit Vätern gibt. So lebt das Gebet in der Nachahmung Jesu zwischen den Polen „Abba, lieber Vater“ (Markus 14,36; Römer 8,15) und dem Ruf aus der Tiefe: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Markus 15,34). Den Mut, die ganze Bandbreite zwischen Vertrauen und Verzweiflung in Worte und Gesten zu fassen, finden wir im Buch der Psalmen. Sie leben aus Klage und Dank, Bitterkeit und Versöhnung. Letztlich aber bleiben sie immer in der Anrede zu Gott und im Grundvertrauen, dass der Gotteskontakt niemals ganz verloren gehen kann. Auch nach längeren Dürrezeiten kann er neu zum Leben erwachen.

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